Good bye Gnome (40)

Gnome 40 ist endlich da und bringt das "größte Update seit Gnome Shell", welches vor  mehr als 10 Jahren veröffentlicht wurde. Ich hatte das Vergnügen mich bereits seit der ersten Beta unter openSuse mit Gnome 40 auseinanderzusetzen und bin schlussendlich etwas ratlos was ich von Gnome 40 halten soll, denn außer dem Attribut das es sehr schick ist und Nautilus scheinbar einzig von dem Update profitiert, kann ich keinerlei sinnvolle Veränderung feststellen.

 

Unnötiges Layout

Angefangen mit dem neuen, horizontalen Layout hielt ich es schon immer für sehr sinnvoll die Leiste mit den allerwichtigsten Funktionen an der Oberseite des Bildschirms zu platzieren.
Zugriff auf Programme, Datum / Uhrzeit / Kalender, Benachrichtigungen, Lautstärke, Akkustand etc auf einen Blick, wunderbar.
Ohnehin finden sich funktionelle Sachen wie Tabs, Menüs, Schaltflächen usw. mehr und mehr an der Oberseite eines Programms wieder, auf lange Sicht spart das einiges an Kilometern die man mit der Maus nicht mehr zurücklegen muss, was insgesamt sehr angenehm ist.
Auch das sich das Dock mit den Lieblings- und laufenden Anwendungen am linken Bildschirmrand befindet ist sinnvoll. Schließlich sind Bildschirme in den letzten Jahren deutlich in die Breite gegangen und so ein Dock nimmt somit einen vertretbare(re)n Platz weg. Auch Programme und Webseiten gehen nach wie vor von einer eher Vertikalen Nutzung aus, man scrollt halt eher rauf und runter als nach links und rechts. Zu guter Letzt ist das Dock auf der linken Bildschirmkante nicht sehr weit entfernt vom Aktivitätenknopf der das Dock und Overlay erscheinen lässt, das Ergebnis sind dann wiederum kürzere Wege mit der Maus.

Das Dock ist mit Gnome 40 nun auf der Unterseite des Bildschirms platziert worden. Das wird damit begründet, dass es bei anderen Oberflächen ja auch so ist und irgendwas mit dem Umgang mehrerer Monitore zu tun hat - so ganz hab ich das nicht kapiert denn seit jeher arbeite ich mit mehreren Monitoren unter Gnome und ich hatte zu keinem Zeitpunkt das Bedürfnis dass das Dock doch besser unten sein müsste. Gleiches gilt für die Darstellung und Verwaltung der virtuellen Arbeitsflächen, einzig ist es nun offensichtlicher dass es die Möglichkeit gibt auf mehreren Arbeitsflächen zu arbeiten und das Update lädt dazu ein seine Programme über mehrere Arbeitsflächen zu verteilen. Aber ein 'echter' Mehrwert ist hier nicht zu erkennen, denn das ging alles vorher auch schon.

Längere Wege und eine anders angeordnete Ansicht zu bemeckern klingt natürlich sehr nach nitpicking und soll hier nicht als "Problem" im Sinne von schlechte Eigenschaft von Gnome verstanden werden. Vielmehr halte ich das vollständige fehlen von Anpassungsmöglichkeiten für Problematisch, viel zu kurz gedacht und bevormundend. 

 

Erweiterungen als Fremdkörper

Denn nun ist es wieder den Nutzern vorbehalten entsprechende Erweiterungen zu entwickeln die eine Anpassung des Layouts erst möglich machen. Es gibt zwar schon einige verfügbare Erweiterungen um Funktionales der neuen Oberfläche hinzuzufügen, aber selbst die Verwaltung der Gnome-extensions hat mit Gnome 40 eine seltsame Veränderung erfahren.
Die sind nämlich jetzt weder in den Einstellungen, noch in den Optimierungen zu finden. Sie sind vielmehr ein eigenes Stück App geworden. 

Man stelle sich vor ein neugieriger Anwender möchte wissen was mit diesem Gnome so alles abgeht, schaut völlig naiv in die Einstellungen und findet dort... keine Möglichkeiten das Aussehen anzupassen, keine Erweiterungen, keine Einstellungen für Schriften... usw.
Überhaupt gibt es seit jeher keine vernünftige Begründung warum die Gnome Optimierungen nicht in den Einstellungen zu finden sein dürfen... mit einer Erweiterung kann man übrigens dafür sorgen das man genau dies erreicht, nämlich Optimierungen in den Einstellungen zu finden, aber nun findet man selbst die Erweiterungen nicht mehr dort wo sie waren geschweige denn wo man sie vermuten würde.
Lustigerweise muss man immernoch eine Erweiterung für den Browser installieren um Erweiterungen für die Oberfläche zu installieren, es ist schon fast ein bisschen komisch aber gleichzeitig traurig wie wenig Liebe man einer anständigen Integration der fast schon essenziellen Erweiterungen widmet.

 

Tray Icons braucht kein Mensch

Mein Lieblingsärgernis bei Gnome war schon immer das fehlen von Tray-Icons. Zwar gab es bis 3.16 so einen halbherzigen Tray-Icon Mist in der unteren linken Ecke der manchmal sogar funktioniert hat, aber seither muss man sich auch hier einer Erweiterung bedienen (die aktuell nicht verfügbar ist). Es gibt ein riesiges Pamflet seitens der Entwickler was das entfernen der Tray-Icons begründen sollte und zusammenfassend hieß es (sinngemäß): Das braucht man heutzutage einfach nicht und Tray-Icons gehören ja schließlich nicht zum System das verwirrt die Benutzer bloß.

Hier laufen die Kritikpunkte zusammen. Es gibt keine Wahl, du verzichtest auf Tray Icons weil wir es so wollen oder du besorgst dir eine Erweiterung wenn es eine gibt. 

 

Der gewisse Touch

Auch dass das gesamte Layout unter der Premisse des komfortablem bedienen an Touch Geräten ausgerichtet wurde finde ICH für eine Desktop Oberfläche mehr als überflüssig. Ich habe es an Ubuntu schon immer gehasst dass absolut alles auf Touch-Freundlichkeit getrimmt wurde und man irgendwie den Eindruck bekommt vor einer schlecht portierten mobileapp zu sitzen statt vor einem Betriebssystem. Gnome liefert für Ubuntu zwar die Basis, aber hat's _noch_ nicht so hart übertrieben. Die Richtung hingegen geht eindeutig dahin und das erfüllt mich nicht mit Freude. Aber das ist nur mein persönliches Problem und solange ich noch solche Probleme haben kann erfüllt mich das dann doch mit Freude. ... ...

 

Na und?

Was hat der große Wurf Gnome 40 also für die ultimative Benutzererfahrung getan? Waren die Rufe in den vergangen zehn Jahren so groß dass eine horizontale Darstellung alternativlos war? Wären eine Option wo der Nutzer sein Dock haben will zu viel des guten? Sind Tray-Icons derart nutzlos? - Also ich für meinen Teil bin sehr froh dass so Sachen wie Steam, Barrier, VLC, OBS usw in ein Tray-Icon verschwinden.
Außerdem ist das ja auch was "was andere Oberflächen auch machen". 
Warum dürfen Optimierungen und Erweiterungen nicht in die Einstellungen und warum macht man den Umgang mit Erweiterungen nicht endlich einfacher, zumindest so einfach dass man wenigstens den Eindruck hat dass sie zu Gnome dazu gehören?

Grundsätzlich bin ich ein großer Freund von Gnome - gewesen - aber was hier als super krasses Update angepriesen wird was die user experience achso auf ein neues Level heben soll ist meiner Auffassung nach reine Augenwischerei.
Statt den Nutzern tatsächlich sinnvolle Neuerungen anzubieten um dessen Bedürfnissen, so unterschiedlich sie sein mögen, Gerecht zu werden geht es hier um "guckt mal wie toll und schick das alles geworden ist".
Ich betone nochmal, ich spreche den Entwicklern ihre Intentionen und Arbeit in keinster Weise ab und Gnome ist und bleibt eine starke Oberfläche die ich sehr wahrscheinlich weiterhin nutzen und unterstützen werde. Aber ich frage mich trotzdem ob meine Erwartungen an eine grafische Oberfläche deart abgehoben sind.


KDE Masterrace

Ich bin nun seit einigen Tagen wieder mit KDE verbandelt und stelle fest, nachdem ich es etwa ein Jahr nicht mehr "intensiv" betrachtet habe, hier hat sich richtig was getan. Ich erinnere mich, vor allem in den Einstellungen, schnell verloren gegangen zu sein. Gefühlt ist alles sehr viel aufgeräumter und zugänglich. Zwar gibt es immernoch passagen in denen KDE mir überladen vorkommt aber man merkt deutlich dass die Entwickler hier daran arbeiten eine gute Balance zwischen Einfachheit und HIERKRASSKANNSTDUALLESEINSTELLEN anzubieten. 

Einzig das ausbleiben dieses einzigartigen Gnome Workflows und die die Gewissheit der wachsenden Kommerzialisierung von QT gibt mir ein unwohliges Gefühl und ich sehe mich jetzt schon wieder Gnome installieren.




Infos:

https://www.golem.de/news/linux-desktop-gnome-40-bringt-neues-aktivitaetenkonzept-2103-155240.html

https://blogs.gnome.org/shell-dev/2021/02/23/gnome-shell-40-and-multi-monitor/

https://forty.gnome.org/

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